Unterschätzte Anwendungen

Warum sich viele Ärzt*innen immer noch mit DiGA schwer tun

LEIPZIG.  Bei einer Umfrage für die KBV im September/Oktober 2023 gab nur jede vierte Praxis an, digitale Gesundheitsan­wendungen (DiGA) zu verordnen. Die Gründe sind zum Teil verständlich, zum Teil aber auch nicht mehr haltbar, wie Vorträge auf der Diabetes Herbsttagung der DDG zeigten.

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Zweifel an der Wirksamkeit der DiGA sind – drei Jahre nach dem Start der Verordnungsfähigkeit auf GKV-Kosten – nicht mehr angebracht, meint Professor Dr. Bernhard Kulzer, Bad Mergentheim. Die methodischen Studienanforderungen für die Aufnahme neuer Produkte ins BfArM-Verzeichnis seien mittlerweile fast höher als im AMNOG-Verfahren. Sie seien eher zu streng als zu liberal, findet der Psychologe und Psychotherapeut. 

Ärzt*innen sind skeptischer als Menschen mit Diabetes
Bei den ihm bekannten zugelassenen DiGA wurden stets mit randomisierten, kontrollierten Studien medizinische Endpunkte nachgewiesen. Das sei auch nicht verwunderlich, da diese einfacher zu erheben seien als sog. „patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen“. Der jährliche Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes zeige jedoch, dass Diabetolog*innen die Nutzung von Apps deutlich geringer einschätzten als Menschen mit Diabetes – und damit wohl unterschätzten. 

Prof. Kulzer ist erfreut, dass es mittlerweile zwei DiGA gegen Adipositas und drei im Diabetessegment gibt. Wichtig ist ihm, dass Adipositasprogramme abwechselnde Inhalte für mindestens ein Jahr haben. Denn mit einer App-Verordnung für lediglich drei Monate werde nichts erreicht. Wichtig sei die Unterstützung bei der Stabilisierung der Abnehmerfolge. Überhaupt sei es sinnvoll, wenn die Apps in die Behandlung inte­griert würden.

2024 scheint sich im Diabetesbereich noch einiges zu tun. Dr. Jens ­Kröger, niedergelassener Dia­betologe in Hamburg und Vorstandschef von diabetesDE, hat fünf bis sechs DiGA auf dem Zettel, die dieses Jahr auf den Markt kommen könnten. Er kennt aber auch das Zeitproblem der Ärzt*innen, sich mit einzelnen Programmen ausführlich zu beschäftigen, um sich eine Meinung bilden und Patient*innen profund informieren können. 

Bei einer Umfrage der AOK aus dem Jahr 2022 gab nur ein Fünftel von rund 2.600 befragten Patient*innen an, dass ihr*e Ärzt*in/Theapeut*in sie vor Nutzung der DiGA über deren Funktionen ausführlich aufgeklärt habe. Zwei Fünftel sagten, das passierte nur kurz. 

Jede*r Vierte steigt vorzeitig aus dem Programm aus
Dabei empfand über die Hälfte aller Befragten ihre DiGA als das für sie passende Angebot und als sinnvolle Therapieergänzung. Das könnten dieselben Personen gewesen sein, die mitteilten, ihre DiGA wie empfohlen zu nutzen. Allerdings: Ein Viertel aller Befragten brach nach eigenen Angaben die App-Nutzung vorzeitig ab. Zudem werden gar nicht alle DiGA-Verordnungen eingelöst, ergänzt Dr. Kröger. Es gibt Versuche von ärztlichen Organisationen, die Informationsbürde für die Verordner*innen zu reduzieren, z. B. mittels gesammelter Empfehlungen von Kolleg*innen oder anhand von Bewertungen nach Kriterienkatalogen. Doch nach wie vor zeigen Umfragen eine Zurückhaltung in vielen Praxen. 

Zwei weitere Argumente – neben Zweifeln an der Evidenz der Programme und dem Zeitmangel, DiGA selbst zu testen – sind die Sorge um den Datenschutz der Apps und deren Kosten. Dass der Datenschutz gewährleistet ist, macht Dr. Kröger an den Zulassungsvorgaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte fest. Und bezüglich der Kosten verweist Prof. Kulzer auf Quartalspreise von 220 bis 250 Euro, wenn sich GKV-Spitzenverband und Hersteller über die Erstattung geeinigt haben oder die Schiedsstelle entschieden hat. 

Aufwendiger Nutzennachweis führt zu hohen Marktpreisen
Die Kassen klagen allerdings weiterhin über hohe Preise im ersten Jahr (freie Preissetzung), insbesondere bei vorläufig zugelassenen DiGA. Die Hersteller erklären dies mit ihren Studienaufwendungen. Prof. Kulzer geht davon aus, dass erst wenige Anbieter im Markt schwarze Zahlen schreiben. Bezüglich der Integration von DiGA in die Behandlung könnten sich immerhin künftig Änderungen ergeben, denn das Digitalgesetz sieht diese Entwicklung vor.

Michael Reischmann

Diabetes Herbsttagung DDG 2023