Für jeden Sport die richtige Dosis

Mit Wissen, Erfahrung und Körpergefühl zur passenden Insulintherapie

Hamburg. Auch bei einem Typ-1-Diabetes profitiert man von Bewegung. Jede Sportart stellt jedoch ganz eigene Anforderungen an den Körper, weshalb die Insulintherapie im Einzelfall angepasst werden muss. Dabei gilt es zum Beispiel das Risiko nächtlicher Unterzuckerungen und die Grenzen der technischen Unterstützung zu beachten.

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Beim Thema Diabetes und Bewegung denkt man meist zuerst an Patienten mit Typ-2-Diabetes. Große Studien wie FinnDiane belegen die Vorteile von moderater Bewegung auf die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität mindestens genauso gut für einen Typ-1-Diabetes, betonte Dr. ­Meinolf ­Behrens vom Diabeteszentrum Minden. Unabhängig vom Insulin führen Muskelkontraktionen zudem zur Translokation von Glut4-Transportern in die Zellmembran und damit zur Glukoseaufnahme in die Zellen.

Krankheitsspezifische Bewegungsbarrieren wie die Sorge vor Hypoglykämien werden in der Literatur zwar immer wieder genannt. Eigene Untersuchungen an gut geschulten Patienten hätten jedoch ergeben, dass diese beim Typ-1-Diabetes kaum von Bedeutung seien. Vielmehr stehe man denselben Hürden wie in der allgemeinen Bevölkerung gegenüber, allen voran einem Zeitmangel.

Konsensuspapier bietet gute Orientierung
Fokus des Vortrages von Dr. Behrens, der im Rahmen eines Symposiums der DDG AG Diabetes, Sport und Bewegung der DDG stattfand, lag auf dem komplexen Themenfeld der Insulindosisanpassung beim Sport mit Typ-1-Diabetes. Eine gute Orientierung hierfür bietet ein 2017 erschienenes Konsensuspapier.1 In der Praxis berücksichtigt man laut Dr. Behrens allerdings die sportartspezifischen Unterschiede oft nur unzureichend. „Beim Ausdauersport zum Beispiel fällt der Glukosewert, das ist bekannt. In anderen Sportarten wie Fußball oder Handball sieht das ganz anders aus.“

Die abwechselnde unterschiedliche Belastung in vielen Mannschaftssportarten ging zum Teil mit einem Abfall, zum Teil mit einem Anstieg der Glukosewerte einher. In der Gesamtheit ergeben sich daher häufig keine wesentlichen Veränderungen. Daten belegten, dass kurze Sprints während des Trainings einem Abfall der Glukosewerte während und nach dem Training entgegenwirken, so Dr. Behrens. „Das erklärt sich durch die Ausschüttung von kontrainsulinären Hormonen wie Adrenalin, Noradrenalin, Wachstumshormon und Kortisol im Rahmen der Sprints.“ Auch ein kurzer, zehn Sekunden andauernder Sprint am Ende der Sporteinheit könne aus diesem Grund den Abfall der Blutglukose deutlich abschwächen.

CGM-Systeme lassen sich sicher einsetzen
Wie wichtig es ist, nach körperlicher Aktivität auch die Nacht im Auge zu behalten, verdeutlichte der Experte anhand einer Arbeit, in der professionelle Radsportler mit Typ-1-Dia­betes während der Teilnahme an einem mehrtägigen Rennen mittels kontinuierlichem Glukosemonitoring (CGM) überwacht wurden.2 „Am Tag lief alles gut, aber im Laufe des Wettkampfes sah man dann doch zunehmend relevante Hypoglykämien in der Nacht als Folge des Muskelauffülleffektes bei entleerten Glykogenspeichern.“

Den schnellen Fortschritt bei der Entwicklung neuer Diabetestechnologien begrüßte Dr. Behrens. „Trotzdem müssen Sportler mit Diabetes auch um die Grenzen der technologischen Unterstützung wissen“, gab er zu bedenken. „Im Zusammenhang mit CGM spielt natürlich die ,lag time‘ eine Rolle.“ So kann nach 40 Minuten Radfahren beispielsweise die Sensorglukose noch zwischen 80 mg/dl und 90 mg/dl liegen, während der Blutglukosewert bereits weniger als 70 ­mg/dl beträgt.

Auch die Messgenauigkeit der Systeme wird bei körperlicher Aktivität durch viele Störfaktoren beeinträchtigt (s. unten). „Die auf dem Markt befindlichen Systeme sind jedoch auch bei Sport mit ausreichender Sicherheit einsetzbar,“ so das Fazit des Referenten.

Konkrete Empfehlungen zur CGM-Nutzung und Diabetestherapieanpassung beim Sport sind auch in einem kürzlich erschienenen Positionspapier der EASD* nachzulesen.3 Auch wenn das Papier die Komplexität des Themas nicht komplett abbildet, kann es dem Experten zufolge als wichtige Orientierungshilfe dienen. Als Ausblick verwies Dr. Behrens auf die für 2022 erwartete erste FDA-Zulassung eines bihormonalen Behandlungssystems. Dieses kompensiert die bei Typ-1-Diabetes oft fortschreitende Alphazelldysfunktion, indem es die fehlende Glukagonsekretion ausgleicht.

Für die Beratung sollte man sich ausreichend Zeit nehmen
Zusammenfassend appellierte Dr. Behrens dafür, sich für die Sportberatung von Patienten mit Typ-1-Dia­betes ausreichend Zeit zu nehmen. Ein klares Konzept, eine qualifizierte Betreuung und gemeinsame Entscheidungsfindung seien nötig, damit Menschen mit Typ-1-Diabetes unbeschwert Sport treiben können.

Dr. Moyo Grebbin

* European Association for the Study of Diabetes

1. Riddell MC et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5: 377-390; doi: 10.1016/S2213-8587(17)30014-1

2. Scott SN et al. Diabetes Care 2020; 43: 1142-1145; doi: 10.2337/dc19-2302

3. Moser O et al. Diabetologia 2020; 63: 2501-2520: doi: 10.1007/s00125-020-05263-9

Sports, Medicine and Health Summit 2021

CGM-Störfaktoren beim Sport
Im Interstitium – wo der CGM-Sensor misst – verändert Sport u.a. folgende Parameter:

  • Flüssigkeitsumverteilung
  • unterschiedliche Flüssigkeitsvolumina
  • wechselnde Flüssigkeitsströme
  • Blutfluss
  • Körpertemperatur
  • Übersäuerung des Gewebes