Einlagen nur mit versierter Betreuung

Krankenkasse muss ihr Online-Vertriebsmodell bremsen

Berlin. Eine Online-Versorgung mit selbst konfigurierten medizinischen Einlagen ist keine gute Idee für Menschen mit Hochrisikofüßen, kritisiert die AG Fuß der DDG entsprechende Aktivitäten gesetzlicher Krankenkassen. Die Barmer hat ihr Angebot erzwungenermaßen zunächst auf Eis gelegt.

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„Leider können wir Ihnen derzeit aus rechtlichen Gründen keine Möglichkeit bieten, ärztlich verschriebene Einlegesohlen online zu bestellen. Wir arbeiten aber daran, dass Sie Ihre Schuheinlagen bald wieder bequem vom Sofa aus konfigurieren und nach Hause schicken lassen können“, heißt es auf der Homepage der Barmer. Mit Wirkung ab dem 18. Oktober 2021 hat die Kasse ihre Kooperation mit dem Hamburger Unternehmen Meevo (Marke craftsoles) vorerst ausgesetzt – keine drei Monate nach dem Start der „eVersorgung“. Man sei von dem Angebot überzeugt, schreibt die Kasse. Die Erfahrungen der Versicherten seien „rundum positiv“ gewesen.

Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) erklärt den Stopp des Online-Service in einer Pressemitteilung mit einer Beanstandung durch das Bundesamt für Soziale Sicherung sowie Abmahnungen. „Wir sind sehr froh, dass die höchste Aufsichtsbehörde offensichtlich unserer Rechtsauffassung gefolgt ist“, erklärt BIV-OT-Präsident Alf Reuter. „Bei dieser laienhaften Versorgung per Versand und mit Selbstvermessung durch die Versicherten ging es nicht um innovative Versorgungskonzepte, schon gar nicht um digitalen Fortschritt. Es ging nur um Kos­tensenkung um jeden Preis.“

Angelegenheit ist noch nicht vollends ausgestanden
„Aufgrund der unbefriedigenden Einlassung und rechtlich unpräzisen Kommunikation der Barmer dürfte die Angelegenheit noch nicht vollends ausgestanden sein. Wir gehen davon aus, dass es auch zu schnellen Entscheidungen in der Rechtsprechung kommen wird“, ergänzt Rechtsanwalt Nico Stephan, der die Klagen von Betrieben vor dem Sozialgericht koordiniert.

Die im August eröffnete „eVersorgung“ lief so: Über die Seite craftsoles.de, auf die die Barmer verlinkte, wählte der Versicherte Schuhtyp und Bezug der Einlage aus. Ihm wurde ein Abdruck-Set plus Ana­mnesebogen zugeschickt. Beides ging per Post zurück. Die danach angefertigten Einlagen trafen kostenfrei zu Hause ein. Beratung erfolgte per Chat, E-Mail oder Telefon.

Sieben orthopädische Vereinigungen, darunter die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, kritisieren die Selbstvermessung mittels zweidimensionalen Abdrucks sowie das Anpassen der zugesandten Einlagen durch den Patienten ohne Fachkontrolle als „hoch fehler­anfällig“. Es bestehe die Gefahr einer Fehlversorgung oder gar sekundären gesundheitlichen Schädigung. Diese Vorgehensweise widerspreche den Forderungen des Hilfsmittelverzeichnisses.

Gefährdung der Fußgesundheit bis hin zum Amputationsrisiko
Klare Worte fand auch der Sprecher der AG Diabetischer Fuß, Dr. ­Michael Eckhard, in seinem ­Schreiben an den GKV-Spitzenverband und den G-BA wegen des Barmervertrages bzw. einer Ausschreibung der Techniker Krankenkasse: „Die Abgabe von Einlagen oder Schutzschuhen online ohne die individuelle, fachlich assistierte Druckabnahme, Herstellung, Anpassung und Abnahme durch Arzt und Orthopädie(schuh)-Techniker für die Hochrisikogruppe der Menschen mit diabetisch-neuropathischem Fußsyndrom stellt eine nicht hinreichend adäquate Versorgung dar, bedeutet eine Gefährdung für das Wohl der Patienten und deren Fußgesundheit und führt schlimmstenfalls zu Fußläsionen mit drohendem Amputationsrisiko. Wir fordern, die Hilfsmittelversorgung für Patienten mit diabetisch-neuro­pathischem Fußsyndrom von der Online-Versorgung auszunehmen.“ Für alle anderen Indikationen sei mindestens eine Versorgungsstudie zu fordern, welche die Qualität und Langzeitauswirkungen einer Online-Einlagen-Versorgung im Vergleich zu einer Vor-Ort-Versorgung bei dem Leistungserbringer untersuche. Nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes wurden 2020 etwa 4,4 Millionen Versicherte mit Einlagen versorgt. Dafür gaben die Kassen 482 Millionen Euro aus.

Michael Reischmann

Stellungnahme der AG Fuß: bit.ly/online-einlagen