Die Sinne schärfen

Strategien zur besseren Wahrnehmung schwerer Unterzuckerungen

Wien. Verlieren Menschen mit Diabetes das Gefühl dafür, dass sie eine Hypoglykämie haben, können Verhaltenstraining und Technologie Abhilfe schaffen. 

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Trotz moderner Schulung, neuen Insulinen und besserer Technologie, die Hypoglykämien deutlich reduziert haben, bleibt bei einigen Patienten das Risiko erhöht. Wie Professor Dr. ­Pratik ­Choudhary, Universität Leicester, Großbritannien, erklärte, müsse die Prävention von Unterzuckerungen nicht nur die „technische“ Seite berücksichtigen, sondern auch die menschliche.

Der Experte hat einen Praxisratgeber zu problematischen Hypoglykämien1 veröffentlicht, in dem er einen vierstufigen Algorithmus beschreibt. Als problematisch gelten zwei oder mehr schwere Hypoglykämien pro Jahr mit gestörter Wahrnehmung, massiven Blutzuckerschwankungen, starker Angst und/oder maladaptivem Verhalten. Bei der Hälfte der Patienten reicht die Schulung aus, um Hypoglykämien nachhaltig zu reduzieren, weiteren 25 % gelingt das mit einer Insulinpumpe oder einem System zur kontinuierlichen Glukosemenssung (CGM), erläuterte er. Eine absolute Minderheit von Patienten wird auch mit der Kombination Pumpe/CGM nicht frei von Hypoglykämien und braucht eine Inselzell- oder Pankreas­transplantation als Ultima Ratio.

Eine Verhaltensintervention kann jedoch mindestens so effektiv sein wie ein CGM-Gerät, betonte Prof. Choudhary. Das lassen u. a. die Ergebnisse der HypoCompass-Studie erkennen, in der die Teilnehmer zwar das verfügbare CGM-Gerät nicht einmal zu 50 % nutzten, die Hyporate aber allein aufgrund der Verhaltensinstruktionen dramatisch zurückging. Drei Grundhaltungen gilt es laut Referent anzugehen:

  • die Überzeugung, eine symptomlose Hypogly­kämie sei harmlos,
  • das Ziel, hohe Glukosespiegel um jeden Preis zu senken, und
  • die Haltung, Hypoglykämien verlören an Bedeutung, wenn man sie ignoriert.

Im Hypoglycemia Awareness Restoration Programme (HARPdoc) werden verschiedene Ansätze auf Verhaltens- und Wahrnehmungsebene kombiniert. Zurzeit wird es in einer Studie mit dem schon Anfang der 2000er-Jahre entwickelten BGAT III (Blood Glucose Awareness Training) verglichen. Es wäre jedoch verfehlt zu glauben, dass ein und dieselbe Intervention bei allen Patienten die Hypowahrnehmung optimieren und das Hypoglykämierisiko minimieren kann, betonte Prof. Choudhary: „Die richtige Therapie für den richtigen Patienten zu finden, ist Teil der ärztlichen Kunst.“

Manuela Arand

1. Choudhary P et al. Diabetes Care 2015; 38: 1016-1029; doi: 10.2337/dc15-0090

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